Mittwoch, 17. Februar 2016

Archimedische Schraube in der Tosefta


Um das folgende zu verstehe, muss ich wenige Erklärungen vorausschicken. Überall, wo die Tora ein Waschen des Körpers oder der Gewänder zur Beseitigung der Unreinheit vorschreibt, ist damit das Untertauche in eine Wasseransammlung gemeint. Diese Wasseransammlung heißt Mikwe, es ist ein Tauchbad. Das Wasser der Mikwe darf kein geschöpftes Wasser sein, d.h. mithilfe eines Gerätes hineingegossenes Wasser. Alles durch Menschenkraft in die Mikwe geleitete Wasser ist untauglich wie geschöpftes Wasser. Siehe alle Details in der Mischna Mikwaot. 


In der Tosefta Mikwaot 4:2 heißt es:



מים הנוזלין מאליהן ומן הים ומן הנהר והעולין באנטיליא פוסלין המקוה רבן שמעון בן גמליאל אומר העולה בכבולין אינן פוסלין את המקוה לפי שאינן נתלשין:



„Wird das Wasser durch Eimer (ich verwende hier die Lesart von Lieberman נידלין) oder vom Meere, vom Fluss durch אנטיליא befördert, macht es die Mikwe untauglich. Raban Schimon ben Gamliel sagt: Wasser, das aufsteigt durch כבולין verunreinigt die Miwke nicht, weil es nicht abgetrennt wird.“



Im ersten Teil der Tosefta handelt es sich um zwei Arten von Schöpfwerken, Vorrichtungen zum mechanischen Heben von Wasser. Das eine funktioniert durch Räder, die durch fließendes Wasser bewegt werden. Es ist mit Gefäßen besetzt, die sich in ihrer tiefsten Stellung mit Wasser füllen, es vom Fluss abtrennen und in der höchsten Stellung das Wasser ausfließen lassen. Dieses Wasserrad macht die Mikwe unrein, weil es geschöpftes Wasser ist.

Hierüber berichtet der römische Architekt Vitruv in seinem Buch De Architectura, 10:5: „Man macht auch in Flüssen Schöpfräder. Nur befestigt man außen an den Schöpfrädern Schaufeln, welche von dem Andrang des Wassers gefasst, durch ihr Vorwärtsgehen die Räder zwingen sich zu drehen, und so durch die Strömung des Flusses, das Wasser in dem Kästchen schöpfen und nach oben bringen. 

 



Die zweite Maschine heißt אנטיליא (=ἀντλία, Schöpfeimer). Es wird durch Menschenkraft mithilfe einer Tretmühle bedient. Bei einer Tretmühle oder einem Tretrad arbeitet der Mensch durch sein Gewicht, indem er mit seinen Füßen auf Brettern läuft, die auf der Außenseite des Rades angebracht sind. Am Rad sind Eimer befestigt, die sich beim Hinauffahren sich mit Wasser füllen und beim Hinabfahren leeren. Auch diese Maschine ist bei Vitruv beschrieben (10,4,3): Man befestigte um den äußeren Rand des Schöpfrades quadratische Kästchen. Wenn das Rad von den Tretern umgedreht wird, so werden die unten gefüllten Kästchen nach oben gebracht und gießen ihren Inhalt in den Sammelkasten. 

Ein Tretrad






Eimer transportieren das Wasser
Was aber ist das כבולין (oder כוכלין nach einer anderen Lesart), das die Mikwe nicht untauglich macht und das Wasser nicht abtrennt? Es ist ein Rohr, das die Mikwe mit dem Fluss verbindet. In diesem Rohr befindet sich eine Art Schraube. Der untere Teil wird geneigt ins Wasser eingetaucht; durch das drehen der Schraube steigt das Wasser durch die Rohre auf und fließt am anderen Ende aus. Die Schraube wurde durch ein Tretwerk mit Füßen gedreht. Auf Griechisch heißt es κοχλίον, was wörtlich Schnecke bedeutet, weil sie gewunden ist. Es bezieht sich auch auf alles was schneckenförmig gewunden ist, wie eine Wendeltreppe oder eine Wassermaschine mit einer Schraube. Uns ist es als archimedische Schraube oder als Wasserschraube, Wasserschnecke bekannt. Es wurde zum Pumpen von Wasser eingesetzt.Ob Archimedes der Erfinder ist, bleibt ungeklärt.

Eine archimedische Schraube mit Hebel

Terrakottafigur aus dem britischen Museum. Ein Arbeiter dreht die archimedische Schraube mit seinen Füßen
Ein Wandgemälde aus Pomeji.

Nach der angenommenen Halacha würde die archimedische Schraube die Mikwe untauglich machen, weil es durch Menschenkraft bedient wird und weil es ein Gefäß ist, das Unreinheit annehmen kann. Die Tosefta aber streitet darauf mit der Behauptung dass die Mikwe tauglich bleibt solange das Wasser der Mikwe mit dem Fluss verbunden ist. Siehe auch Mischna Mikwaot 4:2.




Der Rotor wird aus einem Holzbalken gefertigt. Sein Durchmesser beträgt 1/16 seiner Länge. Der Rand wird geteilt in 8 gleiche Teile und man zieht der Länge nach Linien bis zum Ende des Balkens. Danach wird die Länge in gleiche Teile geteilt. Jeder Teil entspricht 1/8 des Umfangs. Das alles wird auf dem Balken gezeichnet. Der Sinn davon ist, dass es ein Muster ergibt von kleinen Quadraten auf der Oberfläche des Balkens. Die Neigung der Spirale beträgt 45°. Die Klingen werden aus Weidenholz gemacht. Man nimmt eine Latte und bestreicht sie mit Pech und befestigt es am Balken. Dieses und noch mehr Details finden sich bei Vitruv 10:6.






























Ein ägyptischer Bauer bedient sich der archimedischen Schraube.

Dienstag, 9. Februar 2016

Alles was gebiert ist keine Treifa

In Lev. 11:47 wird gesagt:

לְהַבְדִּ֕יל בֵּ֥ין הַטָּמֵ֖א וּבֵ֣ין הַטָּהֹ֑ר וּבֵ֤ין הַֽחַיָּה֙ הַֽנֶּאֱכֶ֔לֶת  וּבֵין֙ הַֽחַיָּ֔ה אֲשֶׁ֖ר לֹ֥א תֵאָכֵֽל׃
damit man unterscheide zwischen dem, was unrein ist, und dem, was rein ist, und zwischen den Tieren, die gegessen werden dürfen, und denen, die man nicht essen darf.

Dieser Vers fasst den gesamten Inhalt von Kapitel 11 zusammen. Wir sollen unterscheiden zwischen allen Tieren im Vers 46, also zwischen Vieh, Vögel und allen Lebewesen, die sich im Wasser regen und alles was auf der Erde wimmelt; siehe Vers 46. Diesen Unterschied müssen wir machen bezüglich ihrer Verunreinigung. Darunter kann man 2 Sachen verstehen. 1. Nicht koschere Tiere (Raschi). 2. Die Übertragung von Unreinheiten beim Berühren (Ramban).
Der zweite Teil des Verses sagt uns, wir sollen unterscheiden zwischen Tieren, die gegen werden dürfen und zwischen Tieren, die nicht gegessen werden dürfen; siehe Kapitel 11.

Schauen wir was die Septuaginta sagt:
διαστεῖλαι ἀνὰ μέσον τῶν ἀκαθάρτων καὶ ἀνὰ μέσον τῶν καθαρῶν καὶ ἀνὰ μέσον τῶν ζωογονούντων τὰ ἐσθιόμενα καὶ ἀνὰ μέσον τῶν ζωογονούντων τὰ μὴ ἐσθιόμενα
Um zwischen den Unreinen und zwischen den Reinen zu unterscheiden und zwischen denen, die lebendige Wesen hervorbringen, die man essen darf, und zwischen denen, die lebendige Wesen hervorbringen, die man nicht essen darf.

Ist das nicht eine seltsame Übersetzung? Was heißt statt חיה(=Tier) ζωογονέω(=lebendiges hervorbringen).
In der Tosefta Chulin 3:19 und Bavli Chulin 58a:

סימן לטרפה כל שינה יולדת
Ein Zeichen für Treifa ist Alles was nicht gebiert

טְרֵפָה heißt wörtlich Zerrissenes. Es ist ein koscheres Tier, das durch ein wildes Tier oder sonst wie verletzt wurde, aber noch nicht tot ist. Es trägt innerliche oder äußerliche Verletzungen und stirbt innerhalb von 12 Monaten. Wird das Tier geschächtet und man entdeckt die Verletzungen, dann darf das Tier nicht gegessen werden. Welche Verletzungen ein Tier treif machen siehe Mischna Chullin 3:1 und BChullin 43a.
Ein Zeichen für ein genießbares und gesundes Tier ist also, dass es Junge gebären kann.  

Die Septuaginta möchte uns also sagen, Ihr müsst unterscheiden zwischen reinen und unreinen Tieren und zwischen solchen, die Junge zur Welt bringen und gegessen werden dürfen (koscher) und solchen, die Junge zur Welt bringen und nicht gegessen werden dürfen. (nicht koscher)
Wir sehen also, dass die Septuaginta mit der halachischen Auslegung der Rabbiner übereinstimmt.
In dem Midrasch Torat Kohanim, Schemini Parascha 10, auch gebracht von Raschi, wird dieser Vers auch die Treifa betreffend gedeutet:
בין שנולדו בה סימני טרפה כשרה, לנולדו בה סימני טרפה פסולה
Zu unterscheiden zwischen einem Tier, in welchem Anzeichen von Treifa entwickelt sind und es trotzdem koscher ist (also ein solches Tier, dessen Verletzungen es nicht treif machen) und einem solchen Tier, in welchem die Anzeichen von Treifa entwickelt sind und nicht koscher ist.  

Sonntag, 7. Februar 2016

Jonathans Mutter, geraubte oder Räuberin?



1 Schmuel 20:30
Schmuel ist wütend auf Jonathan, weil Jonathan seinen Freund David, den Erzfeind seines Vaters Schaul, entkommen ließ. Wutschnaubend beschimpft er seinen Sohn Jonathan mit folgenden Worten:

  וַיִּֽחַר־אַ֤ף שָׁאוּל֙ בִּיה֣וֹנָתָ֔ן וַיֹּ֣אמֶר ל֔וֹ בֶּֽן־נַעֲוַ֖ת הַמַּרְדּ֑וּת הֲל֣וֹא יָדַ֗עְתִּי כִּֽי־בֹחֵ֤ר אַתָּה֙ לְבֶן־יִשַׁ֔י לְבָ֙שְׁתְּךָ֔ וּלְבֹ֖שֶׁת עֶרְוַ֥ת אִמֶּֽךָ׃
Und es entbrannte der Zorn des Schaul über Jonathan und er sprach zu ihm: Du Sohn verkehrter Widerspenstigkeit (Die Züricher Bibel übersetzt: Du Hurensohn) weiß ich denn nicht, dass du auserkoren den Sohn Jischais zu deiner Schande und zur Schande der Scham deiner Mutter?

Was heißt das hier? Warum handelt Jonathan zur Schande der Scham seiner Mutter?
Er möchte sagen: Wenn Israel sehen wird, dass David regiert, aber nicht Du, der du mein Nachfolger bist, was werden sie zu dir sagen? Bist du nicht der Sohn des Königs Schaul?! Sie werden deine Mutter beschämen und sagen, dass du nicht aus der Familie deiner Mutter abstammst oder sie sagen sie sei eine Hure.

Schwieriger ist der Ausdruck בֶּֽן־נַעֲוַ֖ת הַמַּרְדּ֑וּת. Was heißt נעות? Es kommt von dem Verb עוה und bedeutet im Qal: sündigen, sich vergehen; und im Nifal: gebeugt, verdreht, verkehrt. מרדות bedeutet Widerspenstigkeit, also sich hartnäckig widersetzten. Also, du Sohn verdrehter Widerspenstigkeit. Und was will Schaul damit sagen?
Schauen wir mal in die Septuaginta:

καὶ ἐθυμώθη ὀργῇ Σαουλ ἐπὶ Ιωναθαν σφόδρα καὶ εἶπεν αὐτῷ υἱὲ κορασίων αὐτομολούντων οὐ γὰρ οἶδα ὅτι μέτοχος εἶ σὺ τῷ υἱῷ Ιεσσαι εἰς αἰσχύνην σου καὶ εἰς αἰσχύνην ἀποκαλύψεως μητρός σου
Und Schaul wurde sehr zornig auf Jonathan und sprach zu ihm: Du sohn sich freiwillig ergebender Mädchen, weiß ich denn nicht, dass du gemeinsame Sache machst mit dem Sohn Jischais zu deiner Schande und zur Schande der Aufdeckung(=Scham) deiner Mutter?

αὐτομολέω bedeutet desertieren, überlaufen, sich freiwillig ergeben. Κοράσιον bedeutet Mädchen oder Püppchen. Aber beides steht im Plural! Du Sohn desertierender, sich freiwillig ergebender Mädchen! Heißt das Jonathan wurde von mehreren Frauen gezeugt?
Interessant wird es, wenn man sich Raschi zum Vers anschaut: כשחטפו בני בנימן מבנות שילה שיצאו לחול בכרמים היה שאול ביישן ולא רצה לחטוף עד שבאתה היא עצמה והעיזה פניה ורדפ' אחריו
Als die Männer von Benjamin die Mädchen in Schilo sich schnappten, welche in den Weinbergen tanzten, da war Schaul schüchtern und wollte sich kein Mädchen greifen, bis sie von selbst kam, sich frech benahm und ihn verfolgte

Raschi bezieht sich auf das letzte Kapitel von Richter 21, wo die tragische Geschichte erzählt wird von den Kämpfen zwischen den Stamm Benjamin und den anderen Stämmen. Benjamin wurde fast ausgerottet, doch die anderen Stämme wollten ihn am Leben lassen. Doch sie konnten ihre Töchter Benjamin nicht geben aufgrund eines Schwurs. Deshalb entschieden sie, dass Benjamin sich Mädchen bei einer Party einfach schnappen soll. Jonathans Mutter hat sich Schaul freiwillig angeboten, sich ihm freiwillig ergeben, wie auch die anderen Mädchen diesen Plan folgen mussten sich Benjamin zu ergeben. 
Diese kleine Hagada, ich weiß nicht woher Raschi das hat, geht aus dem Hebräischen nicht hervor. Es scheint vielleicht eine populäre Geschichte gewesen zu sein, die von den Übersetzern der Septuaginta aufgegriffen wurde.

In der Vulgata ist es noch deutlicher ausgedrückt: fili mulieris virum ultro rapientis. Du Sohn einer Frau, welche den Mann von geraubt hat. Also hat sie den Mann geraubt, nicht er sie. Wie in der Hagada.